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Das andere Gesicht
Eine Kriminalgeschichte aus Tübingen und Lissabon
SP-Verlag, Albstadt, 2006
ISBN 3-9811017-1-5

Ich habe mit allen Gefühlen geschlafen,
ich war der Zuhälter aller Erregungen,
alle Zufälle der Empfindungen gaben mir eine Runde aus,
ich tauschte Blicke mit allen Tatmotiven,
ging Hand in Hand mit allen Abreisewünschen,
unermeßliches Fieber der Stunden!
Angst aus der Schmiede der Gefühlswallungen!

Schäumende Wut, weil das Unermeßliche nicht in mein Taschentuch paßt,
über die nächtlich heulende Hündin,
über den Wassertank im Gehöft, der meine Schlaflosigkeit umkreist;
Wut über den Wald am Abend, als wir darin spazierengingen, über die Rose,
die gleichgültige Haarsträhne und das Moos und die Pinien,
Wut darüber, daß ich all dies nicht enthalte, all dies nicht halten kann,
abstrakter Hunger nach Dingen, ohnmächtige Gier nach Augenblicken,
geistige Orgie des Erlebens!

Ich möchte alle erhalten in göttlicher Machtvollkommenheit –
Vorabende, Zustimmung, Botschaften,
die schönen Dinge des Lebens –
Talent und Tugend und Straflosigkeit,
Die Neigung, andere nach Haus zu begleiten,
die Situation des Passagiers,
die Annehmlichkeit, schon jetzt auf das Schiff zu gehen, um Platz zu finden,
und allemal fehlt irgend etwas, ein Glas, eine Brise, ein Satz,
und das Leben schmerzt, je mehr man es genossen, je mehr man es erfunden hat.

Aus: Fernando Pessoa, Stundenzug, in der Übersetzung von Georg Rudolf Lind, Ammann Verlag Zürich 1987.