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Das andere Gesicht
Eine Kriminalgeschichte aus Tübingen und Lissabon
SP-Verlag, Albstadt, 2006
ISBN 3-9811017-1-5

"Nein, ich bin nicht mehr normal. Das siehst du ganz richtig: Ich bin nicht mehr normal. Ich war normal, als ich vor zwei Stunden hier ankam. Aber jetzt bin ich nicht mehr normal! Weil das alles hier nicht mehr normal ist!" Wolgrath thronte in der ganzen umfänglichen Pracht seines Körpers auf dem um einen Kopf kleineren Soares und drückte dessen Oberarme auf den schmierigen Kai. "Ich komme vor zwei Stunden als normaler Mensch hier an. Ich finde einen völlig betäubten Manuel Soares vor, den ich versuche, mit allen Mitteln und Wegen zu Bewußtsein zu bringen, damit er mir erkläre, was hier eigentlich gespielt wird und was ich, ICH, für dich, DICH, tun kann – wobei ich gesiezt werde und nebulöse Geschichten von Gesichtern zu hören bekomme, von Selbstmorden, die Morde sind oder umgekehrt, von Frauen, die Männer sind, oder umgekehrt – und ehe ich es mich versehe, werde ich vor- und wieder zurückgeschoben, werde irgendwo hinein- und irgendwo wieder hinausgezerrt; ehe ich auch nur A sagen kann, befinde ich mich auf Gangsterjagd in einer Straßenbahn – das muß man sich mal vorstellen! – und schließlich hocke ich hier auf einem ölverschmierten Kai vor einer genauso öligen, schmierigen Schwulenbar! Und dies alles unter der Regie von Dr. Manuel Scorsese oder vielleicht Dr. Manuel Bond, alias Dr. Manuel Soares e Azevedo Pinto, C-4-Professor an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen!" Wolgraths Augen funkelten mit den Stroboskopen, die sich in Soares' Brillengläsern spiegelten, um die Wette. "Und jetzt, wenn es dir nichts ausmacht, hätte ich gerne eine Antwort auf meine Frage. Sie lautet – und ich wiederhole für den Fall, dass du mit dem Verstand auch das Gedächtnis verloren hast: Bist du eigentlich total übergeschnappt?"